OLG Hamm | Kündigung von Bausparverträgen 10 Jahre nach Zuteilungsreife durch die Bausparkasse rechtmäßig

Rechtsprechung OLG Hamm Kündigung Bausparvertrag Urteil 22.06.2016 - 31 U 234/15Das Oberlandesgericht Hamm hat eine für Bausparer aus NRW schlechte Entscheidung getroffen. Es wies drei Klagen von Bausparern ab. Diese begehrten die Feststellung, dass die seitens der Bausparkasse gekündigten Bausparverträge fortbestehen. Das OLG Hamm gab der Bausparkasse Recht. Die Kündigung eines Bausparvertrages durch die Bausparkasse 10 Jahre nach dessen Zuteilungsreife sei rechtmäßig (OLG Hamm, Urteil vom 22.06.2016 – 31 U 234/15).

Der Sachverhalt:

Die Klägerin schloss bereits 1984 einen Bausparvertrag über eine Bausparsumme über 10.000 DM. Im Jahre 1992 erhöhte sie die Bausparsumme auf 50.000 DM.  Verzinst wurde das Bausparguthaben mit 3 %.  Die Zuteilung des Bausparvertrages war nach den Allgemeinen Bausparbedingungen (ABB) der Bausparkasse an folgende Voraussetzungen gekoppelt. Seit dem Vertragsschluss waren mindestens 18 Monate vergangen und eine bestimmte Bewertungszahl wurde erreicht oder aber ein Bausparguthaben von mindestens 40 % der Bausparsumme angespart. Weiter hieß es in den ABB, die Bausparkasse könne den Vertrag nicht kündigen, solange der Bausparer seine vertraglichen Verpflichtungen erfülle.

Ende Januar 2000 lagen die Voraussetzungen der Zuteilung vor. Die Klägerin machte von ihrem Zuteilungsrecht keinen Gebrauch. Auf ihre Veranlassung hin, wurden monatlich 40,00 Euro vermögenswirksame Leistungen auf den Bausparvertrag überwiesen.

Im November 2014 wies die Bausparkasse die Klägerin auf die seit über 10 Jahren vorliegende Zuteilungsreife hin. Unter Fristsetzung bat die Bausparkasse die Klägerin um Mitteilung, ob das Bausparguthaben für Modernisierungsbedarf oder den Erwerb von Wohneigentum eingesetzt werden solle. Nach Fristablauf kündigte die Bausparkasse den noch nicht voll angesparten Bausparvertrag unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von 6 Monaten nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB.

Die Entscheidung des Gerichts:

Zunächst stellte das Gericht die Besonderheiten des Bausparvertrages dar. Besonderheit dieses Vertrages sei, dass der Bausparer und die Bausparkasse während der Vertragslaufzeit einen Rollentausch vornähmen. In der Ansparphase sei der Bausparer als Darlehensgeber und die Bausparkasse als Darlehensnehmer anzusehen. Erst mit Annahme der Zuteilung erhalte der Bausparer ein Darlehen und die Bausparkasse sei ab diesem Zeitpunkt als Darlehensgeberin zu qualifizieren. Diese Annahme entspreche der herrschenden Meinung.

Sodann stellte das Gericht fest, dass § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB für alle Arten von Darlehensverträge gelte. Demzufolge gelte es auch für das der Bausparkasse während der Ansparphase gewährte Darlehen. Das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB sei dabei nicht lediglich auf Verbraucher beschränkt. Es gelte auch für Darlehensnehmer, die nicht Verbraucher sind.

Die Voraussetzungen einer Kündigung durch die Bausparkasse hätten vorgelegen.  Es habe sich bei dem Bausparvertrag um einen Darlehensvertrag mit festem Sollzinssatz in Höhe von 3 % gehandelt. Die vorgeschriebene Kündigungsfrist von 6 Monaten habe die Bausparkasse eingehalten. Sie habe das Darlehen auch 10 Jahre vor Kündigung im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB vollständig empfangen.

Das OLG urteilte, die Bausparkasse habe das Darlehen mit Eintritt der erstmaligen Zuteilungsreife vollständig im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB empfangen. Hiervon sei aufgrund der Besonderheiten des Bausparvertrages auszugehen. Mit der Zuteilungsreife sei das charakteristische Ziel des Bausparvertrages erreicht. Der Bausparer habe ab diesem Zeitpunkt einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens erhalten. Im Gegenzug habe der Bausparer der Bausparkasse das Darlehen zur Verfügung gestellt, das erforderlich sei, damit die Bausparkasse auf Wunsch des Bausparers hin verpflichtet sei, das Bauspardarlehen auszuzahlen.

Den vollständigen Empfang des Darlehens an die erstmalige Zuteilungsreife anzuknüpfen sei geboten. Andernfalls bliebe es dem Bausparer überlassen, den 10-Jahres-Zeitraum beliebig durch Nichtabnahme des Bauspardarlehens zu verlängern. Die Bausparkasse sei vor zweckwidrigen, für die Bausparkasse unkündbaren Kapitalanlagen zu schützen. Es widerspreche dem Interesse der Gemeinschaft der Bausparer, dass in einer anhaltenden Niedrigzinsphase das Zinsänderungsrisiko einseitig auf die Bausparkasse verlagert werde, weil der Bausparvertrag für die Bausparkasse unkündbar bliebe. Während der Bausparer eine für ihn attraktive Verzinsung seines Bausparguthabens ohne Gegenleistung  in Anspruch nehmen könne, stehe der Bausparkasse in Niedrigzinsphasen keine Möglichkeit der Gegenfinanzierung zur Verfügung. Letztlich sei dies für die Bausparkassen existenzgefährdend.

Anmerkungen zu diesem Urteil:

Zunächst ist zu sagen, dass die Revision zugelassen wurde. Bezüglich der Kündigungen von Bausparverträgen in der dargestellten Weise, ist die Rechtsprechung nicht einheitlich. Beispielsweise entschied das Oberlandesgericht Stuttgart im Mai diesen Jahres in einem vergleichbaren Fall zu Gunsten der Bausparer (OLG Stuttgart, Urteil vom 04.05.2016 – 9 U 230/15). Der Bundesgerichtshof wird die Frage zu klären haben, ob Bausparkassen ein Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zusteht.

Im Kern geht es immer darum, wann ein vollständiger Empfang anzunehmen ist. Ist dies bereits mit der erstmaligen Zuteilungsreife der Fall, oder bedarf es hierfür der Vollansparung der Darlehenssumme? Hiermit steht und fällt die Entscheidung darüber, ob der dem Bausparvertrag typische Rollentausch zwischen Darlehensnehmer und Darlehensgeber stattgefunden hat oder nicht. Nur bei der Annahme, ein vollständiger Darlehensempfang sei zumindest gleichzusetzen mit der erstmaligen Zuteilungsreife, kann sich die Bausparkasse auf § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB berufen. Andernfalls hätte sie die Rolle der Darlehensnehmerin nie verlassen. Dann aber fehlt es an der Voraussetzung des vollständigen Darlehensempfangs mit der Folge, dass ihr kein Kündigungsrecht zustünde.

Sobald mir eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes hierzu bekannt wird, werde ich darüber berichten.

Bengt Langer
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