Ausgleichsanspruch bei Verspätung eines angebotenen Ersatzfluges

Ausgleichsanspruch bei Verspätung eines angebotenen Ersatzfluges

Flugreisenden steht unter bestimmten Voraussetzungen ein Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung zu. Die Höhe des Anspruchs ist dabei abhängig von mehreren Faktoren. Liegen die jeweiligen Voraussetzungen aber vor, steht den Reisenden ein Ausgleichsanspruch von 250 – 600 Euro zu. Diesen Anspruch können Reisende gegenüber dem Luftverkehrsunternehmen geltend machen, bei dem sie den Flug gebucht haben. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied kürzlich, das sei auch dann der Fall, wenn dieses Unternehmen den Flug kurzfristig annulliert, dem Reisenden dann zwar einen Ersatzflug bei einem anderen Unternehmen anbietet, es bei diesem Ersatzflug jedoch zu einer erheblichen Verspätung kommt (vgl. Pressemitteilung des BGH v. 10.10.2017).

Der Sachverhalt

Mehrere Kläger buchten bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen einen Flug von Frankfurt a.M. über Singapur und Weiterflug nach Sydney. Beide Strecken, die von Frankfurt a.M. nach Singapur und der Anschlussflug von Singapur nach Sydney, sollten von der Beklagten durchgeführt werden. Am Abflugtag annullierte die Beklagte den Flug für die erste Wegstrecke. Sie bot den Klägern einen Ersatzflug bei einem anderen Luftverkehrsunternehmen an. Dieser Ersatzflug sollte noch am selben Tag starten. Er sollte am Folgetag in etwa zur gleichen Zeit in Singapur landen, wie dies ursprünglich bereits mit der Beklagten der Fall gewesen wäre. Der angebotene Ersatzflug startete jedoch mit einer Verspätung von ca. 16 Stunden. Den vorgesehenen Weiterflug von Singapur nach Sydney erreichten die Kläger nicht. Ihr Ziel Sydney erreichten sie mit einer Verspätung von mehr als 23 Stunden.

Die Kläger verlangten von der Beklagten eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600 Euro. Sie beriefen sich auf Art. 5 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 lit. c der Fluggastrechteverordnung. Die Beklagte verweigerte die Zahlung. Sie war Offenbar der Auffassung, Ausgleichsansprüche gegen sie seien bereits deswegen ausgeschlossen, weil sie den Klägern ein „Angebot zur anderweitigen Beförderung“ unterbreitet hätte. Wäre der Ersatzflug ordnungsgemäß und ohne Verspätung durchgeführt worden, hätten die Kläger ihr Ziel höchstens zwei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreicht.

Das Amtsgericht gab in erster Instanz der Beklagten Recht. Das Berufungsgericht entschied zugunsten der Kläger. Der BGH folgte der Ansicht des Berufungsgerichts und entschied ebenfalls im Sinne der Kläger.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH entschied, dass dasjenige Luftverkehrsunternehmen ausgleichspflichtig ist, bei dem die Reisenden den (annulierten) Flug gebucht hatten. Art. 5 Abs. 1 lit. c Nr. iii der Fluggastrechteverordnung sei so zu verstehen, dass ein Ausgleichsanspruch nur dann ausgeschlossen ist, wenn der Fluggast das Endziel mit dem Ersatzflug tatsächlich höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit erreichen konnte.

Der BGH folgt damit nicht der Auffassung der Beklagten. Es genügt nicht, lediglich eine anderweitige Beförderung anzubieten, die es dem Fluggast ermöglicht höchstens zwei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit sein Ziel zu erreichen. Es genügt auch nicht, dass bei planmäßiger Durchführung des Ersatzfluges die Beklagte von der Ausgleichspflicht frei geworden wäre. Ferner genügt es nicht, dass ein Ausgleichsanspruch gegen das den Ersatzflug ausführende Unternehmen begründet werden kann. Es gibt nämlich Situationen, in denen das von vornherein ausgeschlossen ist. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Flugunternehmen den Ersatzflug ausführt, dass gar nicht vom Geltungsbereich der Fluggastrechteverordnung erfasst wird.

Anmerkungen zu dieser Entscheidung

Der BGH hat eine für Flugreisende günstige Entscheidung getroffen. Das ist zu begrüßen. Insbesondere schafft diese Entscheidung für Reisende Klarheit, an wen sie sich wenden können, wenn sie Ausgleichsansprüche im Sinne der Fluggastrechteverordnung geltend machen wollen.

Ausgleichsansprüche können gegenüber dem Luftverkehrsunternehmen geltend gemacht werden, bei dem der Flug gebucht wurde. Dies unabhängig davon, ob auch gegen das den Ersatzflug durchführende Unternehmen ein Ausgleichsanspruch begründet werden könnte.

Außerdem hat der BGH die Regelung des Art. 5 Abs. 1 lit. c Nr. iii der Fluggastrechteverordnung zugunsten der Fluggäste ausgelegt. Dabei ging es um das Verständnis der Regelung des Art. 5 Abs. 1 lit c Nr. iii. Dort ist geregelt, dass eine Ausgleichspflicht nicht besteht, wenn dem Fluggast ein Angebot zur anderweitigen Beförderung unterbreitet wurde, das es ihm ermöglicht sein Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

Artikel 5 der Fluggastrechteverordnung

Artikel 5
Annullierung
(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen
a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,
b) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten und im Fall einer anderweitigen Beförderung, wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges liegt, Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

Allein die Unterbreitung eines Angebots, dass geeignet ist, die Ausgleichspflicht entfallen zu lassen, ließ der BGH nicht genügen. Es kommt vielmehr darauf an, dass der Fluggast sein Endziel tatsächlich (und nicht nur voraussichtlich) höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit erreicht.

Was Fluggäste noch wissen sollten

Die Fluggastrechteverordnung gilt nicht für jede Airline und jeden Flug. Artikel 3 der Verordnung bestimmt den Anwendungsbereich. Unter anderem ist dort folgendes geregelt:

  • Die Verordnung gilt nur dann, wenn der Flug auf einem Flughafen eines Mitgliedsstaates angetreten wird. Wird in einem Drittstaat zwischengelandet und der Flug mit einer Airline des Drittstaates fortgesetzt, so wird auch für diesen Weiterflug die Fluggastrechteverordnung nicht anwendbar sein.
  • Für Einreisende aus einem Drittstaat gilt die Verordnung nur dann, wenn der Flug mit einer Airline angetreten wird, die auch zur Gemeinschaft gehört. Wer etwa mit einer Airline eines Drittstaates in einen Mitgliedsstaat einreist, der wird sich auf diese Verordnung nicht berufen können, es sei denn, die Airline hat sich eigenverantwortlich bereit erklärt, sich den Regelungen der Verordnung zu unterwerfen. Verpflichtet ist sie hierzu nicht.

Reisende sollten diese Punkte bei ihrer Flugplanung beachten. Die Fluggastrechteverordnung ist ein europäisches Regelwerk. Es gilt daher nicht weltweit und nicht für jeden Fall einer Verspätung oder Annulierung.

Ich persönlich wünsche Ihnen stets einen guten Flug, ganz ohne Flugverspätung und andere Unannehmlichkeiten. Kommen Sie gut und heil an, wo immer die Reise Sie hinbringen mag.



Erfahren Sie mehr:

Kürzlich erst berichtete ich über eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Dieser hatte sich ebenfalls mit der Fluggastrechteverordnung auseinanderzusetzen. Der EuGH hatte zu klären, wie die für den Ausgleichsanspruch maßgebliche Wegstrecke zu bemessen ist. Diese Frage stellt sich immer dann, wenn durch die Inanspruchnahme von Anschlussflügen im Vergleich zu Direktflügen Umwege in Kauf genommen und hierdurch die Wegstrecke eine längere als die eines Direktfluges ist. Der EuGH entschied, dass die maßgebliche Wegstrecke sich nach der Großkreismethode bemisst. Relevant ist danach die Distanz zwischen dem Ort des 1. Abflugs und des Zielflughafen. — Erfahren Sie mehr —



 

Bengt Langer
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