Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch

Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch

Die Abgrenzung zwischen einem beendeten und einem unbeendeten Versuch ist in Klausuren aus dem Strafrecht ein immer wiederkehrendes Thema. Häufig bereiten Abgrenzungsfragen den Prüflingen Schwierigkeiten. Das ist in diesem Punkt nicht anders. Der BGH hatte sich im März dieses Jahres mit der Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch eingehend auseinandergesetzt. Der Beschluss ist für Examenskandidaten lesenswert und lehrreich (BGH, Beschluss v. 22.03.2017 – 5 StR 6/17).

Der Sachverhalt

Ein Ehemann (der Angeklagte) lauerte am späten Abend seiner von ihm getrennt lebenden und die Scheidung betreibenden Ehefrau (Nebenklägerin) an deren Wohnhaus auf. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte einen Tötungsvorsatz gefasst. Als die Nebenklägerin gemeinsam mit ihrer Mutter und dem gemeinsamen Sohn das Wohnhaus erreichte und vor der Haustüre nach dem Schlüssel suchte, trat der Angeklagte unvermittelt hinzu. Er hielt den Mund der Nebenklägerin zu, und stach in Tötungsabsicht auf sie mit einem Messer dreimal kräftig in den Bereich des Nackens und hinteren Halsbereichs ein. Hierdurch erlitt die Nebenklägerin akut lebensgefährliche Verletzungen. Die Nebenklägerin war zur Gegenwehr außer Stande und sank zu Boden. Der Angeklagte beugte sich über die am Boden liegende Nebenklägerin und führte mehrere wuchtige Faustschläge in ihr Gesicht aus. Er ließ sich hiervon auch nicht durch den gemeinsamen Sohn und der Mutter der Nebenklägerin abhalten. Erst nach weiteren Schlägen und nachdem er annahm, der Nebenklägerin tödliche Verletzungen zugefügt zu haben, verließ er den Tatort.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung  verurteilt. Die Revision des Angeklagten blieb ohne Erfolg.

Die Entscheidung des Landgerichts

Das Landgericht lehnte einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord ab. Denn als der Angeklagte nach den Schlägen von der Nebenklägerin abließ, sei der Versuch des Tötungsdelikts bereits beendet gewesen. Bereits nach den Messerstichen sei der Angeklagte davon ausgegangen, er habe alles zur Vollendung der Tat getan. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass bereits alle drei Messerstiche potentiell lebensbedrohlich gewesen seien. „Überschießend“ habe er nach den Messerstichen weitere Schläge gegen den Kopf der Nebenklägerin gesetzt. Bemühungen, den Tod der Nebenklägerin zu verhindern, habe der Angeklagte nicht unternommen.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH folgte der Entscheidung des Landgerichts. Zu Recht habe das Landgericht zunächst den Rücktrittshorizont bestimmt. Dieser sei Maßstab für die Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch. Der Rücktrittshorizont bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters und zwar nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung. Ein beendeter Tötungsversuch liegt demnach dann vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält oder er sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht. Ein Rücktritt vom beendeten Versuch kommt demnach nur dann in Betracht, wenn der Täter den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindert oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemüht.

Der zeitliche Anknüpfungspunkt des Landgerichts – der letzte Faustschlag – musste vom BGH näher betrachtet werden. Für den letzten Faustschlag nämlich gab es keinen eindeutigen Beweis, dass auch dieser noch mit Tötungsvorsatz ausgeführt wurde. Naheliegend sei gewesen, dass die sich an die Messerattacke anschließenden Faustschläge dazu dienten, die Nebenklägerin zusätzlich zu demütigen und als Zeichen der Geringschätzung ihr lediglich weitere Verletzungen zugefügt werden sollten. Bei einem so unterstellten Geschehensablauf sei nicht auf den letzten Faustschlag, sondern auf den vor den Fausthieben gesetzten letzten Messerstich abzustellen. Dann nämlich wäre dieser die letzte mit Tötungsvorsatz durchgeführte Handlung gewesen.

Das Landgericht habe in der Beweiswürdigung darauf abgestellt, dass der Angeklagte die Wirkung seiner Messerstiche erkannt habe. Diese seien mit Tötungsabsicht geführt worden. Der von ihm durch die Messerstiche erwartete Tötungserfolg hat sich während der darauf folgenden Faustschläge nicht verändert. Diese Faustschläge, die in einem ohne wesentliche Zwischenakte ablaufenden Geschehen erfolgten, stellen lediglich das Ende eines potentiellen „Korrekturzeitraum“ dar. In diesem Korrekturzeitraum hätte sich das Vorstellungsbild des Angeklagten noch nach der letzten Tötungshandlung beachtlich ändern können, was es aber nicht tat. Der Rücktrittshorizont blieb unverändert. Aus diesem Grund erweise sich die Wertung des Landgerichts, wonach der Mordversuch beendet war, als der Angeklagte von der Nebenklägerin abließ, als zutreffend.

Das Problem des Falles

Wir haben es hier mit einer Konstellation zu tun, die meines Erachtens nach leicht in strafrechtliche Klausuren eingebettet werden kann. Es gibt einen Täter und ein Opfer. Der Täter „beginnt“ seine Tathandlung mit Tötungsvorsatz. Während eines mehrgliedrigen Geschehensablaufs, wechselt der Täter von seiner mit Tötungsabsicht begangenen Handlung auf eine andere Handlungsweise, für die der Tötungsvorsatz nicht mehr nachgewiesen werden kann. Es stellt sich dann die Frage, wie der Rücktrittshorizont in einem solchen mehrgliedrigen Geschehen zu bestimmen ist. Ist dann auf die letzte Tathandlung mit Tötungsabsicht abzustellen? Oder ist auf die im Geschehensablauf letzte (ggf. ohne Tötungsabsicht) erfolgte Handlung abzustellen?

Der BGH löst den Fall so, dass er auf die letzte mit Tötungsabsicht erfolgte Handlung den Rücktrittshorizont bestimmt. Die sich hieran unmittelbar anschließenden Handlungen seien dann ein „potentieller Korrekturzeitraum“. Dieser „Korrekturzeitraum“ ist zu betrachten. Fraglich ist, ob sich in diesem Geschehensabschnitt die Vorstellung des Täters noch einmal beachtlich geändert hat oder nicht. Ist eine solche Änderung des Vorstellungsbildes des Täters nicht erfolgt, bleibt es dabei, dass es sich um einen beendeten Versuch handelt. Ein strafbefreiender Rücktritt scheidet dann aus.

Bengt Langer
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